Master-Studiengang
Literaturwissenschaft


HALLE-WITTENBERG
Literatur ist nichts Isoliertes, weder in der Zeit noch im Raum. Erst jenseits nationalphilologischer Engführungen werden die nahen und fernen transnationalen und transhistorischen Beziehungen deutlich, die literarische Texte immer schon bestimmt haben. Gerade die Literatur im engen Sinne – also nicht verstanden als kulturelle Kommunikation im Allgemeinen, sondern als jeweils spezifische Verdichtung dieser Kommunikation in literarischen, ästhetisch und poetisch verfassten Texten – ist immer schon transnational gewesen, lebt seit jeher an den Grenzen einzelner Sprachen und Kulturen und gewinnt ihre Bedeutung über diese hinweg. Und sie hat eine lange Geschichte, die sich niemals auf eine Epoche oder einen Kontext beschränken lässt, weil jeder Text immer wieder andere historische Konstellationen entwirft und Geschichte immer wieder neu und in anderer Gestalt erzählt. Dieses durchaus emphatische – aber nicht exkludierende oder elitäre – Verständnis von Literatur bildet den konzeptuellen Grund des Studiengangs, der Literaturwissenschaft als eine, aber weit und vielfältig gefasste Disziplin versteht.
Literatur ist nichts Selbstverständliches, kein Stoff, der einfach gegeben ist. Wir erzeugen sie im Umgang; im Schreiben wie im Lesen entsteht sie immer neu und immer anders. Eine ambitionierte Literaturwissenschaft muss die oft vorausgesetzten Praktiken des Schreibens und der Lektüre und die mit ihnen verbundenen Formen des Wissens und Strategien der Kanonisierung mitreflektieren. Sie muss wissen, was sie tut, kann dazu aber auch auf eine lange Geschichte der Poetik und Theorie zurückblicken, in der darüber nachgedacht wird, inwiefern Literatur Welt ‚nachahmt‘, ‚ausdrückt‘, ‚modelliert‘, ‚verfremdet‘ etc. Auch kulturwissenschaftliche Ansätze – Performativitätstheorie, Diskursanalyse, Wissensgeschichte – gehören heute in diese Theoriegeschichte, die ohnehin nicht abzuschließen ist.
Literatur ist fern und nah zugleich. Sie erlaubt es, das kulturell Fremde, die ferne Vergangenheit zu vergegenwärtigen, aber auch das Nahe, scheinbar Vertraute fern zu rücken. Sie entwirft imaginäre Welten, aber auch Handlungsräume; sie installiert und überschreitet Grenzen, schafft Gemeinsamkeit und Differenz und ist darin unmittelbar politisch. Die Beschäftigung mit Literatur ist daher immer auch Beschäftigung von Individuen und Gesellschaften mit sich selbst und dem eigenen Selbstverständnis und den komplexen Verhältnissen zueinander. Gerade die Gegenwart – die moderne, postmoderne oder nachmoderne Welt, die noch keinen Namen hat, aber schon benannt, beschrieben, durchdacht wird, tritt in der Literatur vielleicht besonders deutlich hervor.
Literatur ist Praxis. Versteht man Literatur nicht als Sammlung großer oder kleiner Texte, sondern als Arbeit an der Welt und ihrer Symbolisierung, muss die Literaturwissenschaft mehr sein als Pflege von Kulturgütern oder Dienst am Werk. Literaturwissenschaft kultiviert eine bestimmte Sicht auf die Welt, auf die Sprache, auf Texte, die auch praktisch einzuüben ist. Im Studiengang wird daher besonderer Wert darauf gelegt, diese Umgangsweisen zu schulen und damit nicht nur für eine eventuelle spätere akademische Beschäftigung mit Literatur vorzubereiten, sondern durch professionellen, selbstbewussten und auch lustvollen Umgang mit Texten für den breiten Bereich der Vermittlung von Literatur in Redaktion, Lektorat, Kulturbereich etc. zu qualifizieren.